von Henrique Andrade und Neto Onirê Sankara
Im Januar 2006 lud uns Mestre Joelson Ferreira zu einer tiefen Reflexion darüber ein, welchen Wegen diejenigen folgen können, die eine würdevolle Zukunft für alle erträumen und erkämpfen. Diejenigen, die an einer Welt bauen, in der Menschen so, wie sie sind, respektiert werden, und zwar in ihrer Beziehung zur natürlichen Welt, in ihrer Diversität und allen Formen der Verbindungen zwischen dem Spirituellem und Materiellem. Er formuliert es so: "Jede Transformation einer sozialen Realität kommt einer Transformation im Bewusstsein der Menschen gleich, und das ist der Weg.” Sein Text “Von neuem Beginnen” (portg. Comecar de novo) markiert eine entscheidende Etappe des kritischen und bewussten Aufbaus des Kampfes, der angesichts der brasilianischen Realität voller Ungleichheit, Massaker und rebellischen Aufständen immernoch nötig ist.
Teia Dos Povos (das Netz der Völker) ist ein Ausdruck von verschiedenen Gemeinschaften, Regionen, Völkern, politischen Organisationen, ländlichen und städtischen Bevölkerungen, indigenen Völker,n Quilombolas, Menschen, die an Flüssen oder in entlegenen Gebieten leben, solche ohne Land oder ohne Zuhause, Kleinbauern, die zusammenkommen, als Zentren und Vernetzungen von Graswurzelbewegungen, um Wege zu einer kollektiven Emanzipation zu formen. In anderen Worten, für eine Schwarze, Indigene und gesamtgesellschaftliche Allianz der Solidarität, die offiziell 2012 gegründet wurde.
Dieser Versuch, neue Welten und neue Horizonte in allen verschiedenen Gebieten zu erschaffen, tritt in die Fußstapfen verschiedener Bewegungen Brasilianischer und Lateinamerikanischer Menschen, die sich in 524 Jahren voller Zerstörung, Sklaverei und Brutalität gegen die Herrschenden der Territorien zur Wehr setzten und Widerstand leisteten. Es existieren viele Erfahrungsberichte aufständischer Kämpfe auf dem Boden von Abya Yala, angeführt durch schwarze und indigene Menschen, um Leben und emanzipatorische Autonomie im und für das Land zu verteidigen.
Inmitten all der ineinandergreifenden und beispiellosen Krisen dieser Zeit, die uns niederschmettern – ob in der Ökologie, der Landwirtschaft, in Großstädten oder auf der Arbeit, fragen wir uns dennoch: Welche Wege sollen wir einschlagen? Was können wir tun? Welche Strategien und Taktiken müssen wir einsetzen, damit einzelne Erfolge endgültig zu einem Sieg werden? Natürlich sind wir uns bewusst, dass die Maschinerie, die die Menschen zermürbt, stärker ist als je zuvor in der Geschichte. Noch nie zuvor waren so viele Waffen in den Händen der machtgierigen Staaten.
Drei Elemente sind in dieser Analyse unabdinglich:
Überall auf der Welt ist Gewalt das historische und konkreteste Merkmal der aktuellen Entwicklungen.
Der Klimawandel ist keine dystopische Vision der Zukunft, sondern plagt schon jetzt die Gegenwart und fördert die bekannten Formen der Ausgrenzung, angeführt von globalen Großkonzernen und mit der Hilfe der gezielten Ignoranz der Nationalstaaten.
Heute nimmt das Projekt der allgemeinen Vernichtung auch digitale Formen an, wobei die digitalen Medien in erster Linie Geist, Körper und Herz unserer Jugend zerstören. Doch auch alle anderen sind anfällig für diese virtuellen Manipulationen.
Aller Widrigkeiten zum Trotz haben die enteigneten Völker im Laufe der Geschichte durch rebellischen Widerstand Möglichkeiten geschaffen, entgegen der Gewalt und Macht der Herrschenden zu existieren und dieser die Stirn zu bieten. Die Erneuerung ist eine ständige, immer wiederkehrende und essenzielle Aufgabe für die traditionellen Völker und Gemeinschaften, aber auch für die Arbeiterbewegung, die trotz der fortschreitenden Ausbeutung, der Arbeitslosigkeit, des Verlusts der Menschenwürde, der Zunahme der sozialen Missstände und der Austrocknung der geschwisterlichen und gemeinschaftlichen sozialen Beziehungen ihre Geschichte wieder aufleben lassen.
In unserem Lateinamerika ist es möglich, neue Welten aufzubauen, wie es uns die Zapatistas in Chiapas und die kommunalen indigenen Gemeinden in Oaxaca beweisen (beide in Mexiko). In Brasilien gibt es viele soziale Bewegungen, Bündnisse, Kollektive unterschiedlichster Art, von den eher traditionellen wie der MST (Bewegung der Landlosen) oder der MPA (Bewegung der Kleinbauern), städtische Kollektive gegen Gewalt, Wohnungskämpfe wie die der MTST (Bewegung der obdachlosen Arbeiter), verschiedene Organisationen für ökologische Landwirtschaft, Gemeinschaften von Indigenen und Quilombolas, die in direkter Konfrontation zur Ausrottung durch die strukturelle Gewalt des Staates stehen; bis hin zum Teia Dos Povos (Netz der Völker), ein Zusammenschluss, der darauf abzielt, neue Welten durch Autonomie und Emanzipation der Menschen aufzubauen.
Das große Problem ist jedoch, dass wir als Teia Dos Povos und soziale Bewegungen sowohl in Brasilien als auch international den Sprung vom Kampf um Land und Boden zum Kampf um die gesamte Erde und den Planeten machen müssen. Andernfalls werden alle Bemühungen vergeblich sein. Das Projekt des Kapitals ist Genozid und Ökozid, dieser setzt die Zerstörung der Lebensbedingungen aller Lebewesen, sowohl die der Menschen als auch der Natur, der Pflanzen und der Tiere und folglich aller ihrer Lebensräume vorraus. Es ist notwendig, über gemeinsame Perspektiven nachzudenken, um das Leben auf dem Planeten zu stärken. In dem Buch “Por Terra e Território” (Über Land und Territorium) werden die einzelnen Schritte dieser transformativen Mission erklärt. Die sozialen Kämpfe müssen den Kampf um Land und Boden in den Fokus rücken und das Leben durch einen realen Kampf stärken, der sich auf materielle und immaterielle Werte stützt.
Es ist dringend notwendig, die Vereinzelten und Besitzlosen zusammenzubringen, um breit aufgestellt und mit einem Programm des revolutionären Kampfes die Überwindung des Kapitalismus durch eine permanente Revolution zu erwirken. Wenn wir Rassismus, Klassismus, Sexismus und all die anderen Formen der Unterdrückung überwinden wollen, müssen wir die Grundlagen des Kapitalismus in Frage stellen und angreifen. Für dieses Vorhaben ist es dringend notwendig, verschiedene Menschen und Gruppen zusammenzubringen, die die kapitalistische Ethik und Moral überwinden müssen, um sich am Kampf zu beteiligen. Dafür müssen sie breite, gemeinsame Bündnisse aufbauen, ohne dabei klassenversöhnlich zu sein. Das Ziel ist nicht nur, Bündnisse gegen einen gemeinsamen Feind, den Kapitalismus, zu formen, sondern ihn zu überwinden und Modelle kollektiver Produktionsverhältnisse zu schaffen. Mit anderen Worten brauchen wir eine klare Mission, inspiriert zum Beispiel von den Erfahrungen der Zapatistas, um neue Welten zu bauen, die alle Welten des guten Lebens vereinen.
Wir müssen zusammen Pläne entwickeln und den spaltenden Individualismus ablehnen, um gerade dadurch persönliche Entfaltung und Vielfalt zu bewahren und einen Ort der Pluralität von Ideen, Geschmäckern, Entscheidungen und gemeinsamen Zielen zu garantieren. Das Netz der Völker in Bahia (Bundesstaat in Brasilien) hat die Aufgabe, eine Vision des Kampfes zu schaffen, ohne die Menschen zu klassifizieren, aber mit dem Bewusstsein, dass das Kapital sie nach Hautfarbe, Ethnie, Geschlecht, Wohnort, Geschlecht etc. abgestempelt und geprägt hat. Wir meiden es, uns durch diese Kategorien zu trennen. Wir wollen durch eine gemeinsame Agenda der anti-hegemoniale Kämpfe den Kapitalismus überwinden. Es geht um die Überwindung gemeinsamer Probleme und nicht um isolierte Elemente, darum, Gewalt zu beseitigen und die Entfaltung verschiedener Lebensweisen zu ermöglichen; alles mit dem gemeinsamen Ziel, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern.
Trotzdem bildet sich in Brasilien und International eine faschistische internationale Ordnung. Wir müssen das Bewusstsein für das menschliche, soziale und kulturelle Potenzial für die politische Auseinandersetzung mit der Weisheit der Völker aufzubauen und nicht mit den versklavenden Instrumenten der Herrschenden. Dabei handelt es sich um einen Prozess des Träumens und des Aufbaus möglicher sowie unmöglicher Welten von unten. Der globale Kontext ist von der menschlichen Tragödie der erzwungenen Migration geprägt, und führt uns die grausame Existenz von Umwelt-, Klima-, politischen und religiösen Flüchtlingen vor Augen, die von den Mächten der Unmenschlichkeit ausgegrenzt werden. Wir wissen, dass die Oase in unseren freien und autonomen Gebieten liegt, voll von kreolischen Samen, guten Nahrungsmitteln, Wäldern, Meeren, Flüssen, Seen, Lagunen, Bergen und vielen anderen Elementen dieses wunderbaren und reichen kulturellen Mosaiks.
Die von Teia dos Povos vorgeschlagene Revolution basiert auf Landwirtschaft mit einer harmonischen Beziehung zur Natur, die die menschliche und natürliche Vielfalt garantiert und in der Lage ist, Potenziale und Organismen zusammenzubringen, die zu einem guten Leben beitragen. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Schritte und Wege unternommen, wie die Ausweitung des Teia-dos-Povos-Netzwerks auf andere brasilianische Bundesstaaten, der Dialog mit internationalen sozialen Bewegungen, die Durchführung von Workshops zur Bewirtschaftung und Verteidigung von Land, die Unterstützung von Aktionen zur Rückeroberung verschiedener Gebiete und agrarökologische Aktionstage.Die zentrale und dringlichste Frage ist, wie diese vielfältigen Erfahrungen zusammengeführt werden können, um die Menschenwürde und die Menschlichkeit als Ganzes wiederherzustellen, wie die Erde und die Menschheit von der Engstirnigkeit befreit werden können? Dies sind die akuten Herausforderungen, die Revolutionen in Köpfen und Herzen im Rahmen eines konkreten Kampfes gegen den Kapitalismus. Unsere revolutionären Lieder weisen uns den Weg in die Zukunft. Die libertäre Autonomie muss mit der Emanzipation der Menschen verbunden werden und weitergehen ohne zu einem Spielball zu werden.
Schaffen wir gemeinsam die Voraussetzungen für diese echte Utopie, denn wir schreiben das Jahr 2024 und die Zukunft jetzt. Es dringend! Wacht auf!
Wie der Dichter Gilberto Gil sagt, "Für Land, Arbeit und Brot "
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