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Henri Curiel: ein Leben für den Internationalismus

Henri Curiel ist jemand, der trotz seines bedeutenden historischen Einflusses auf revolutionäre Bewegungen relativ unbekannt geblieben ist. Wenn wir von Revolutionen, politischem Kampf oder Widerstand sprechen, stellen wir uns meist spontane und gewalttätige bewaffnete Aktionen vor. Doch obwohl Henri Curiel sein Leben voll und ganz dem Kampf der Völker widmete, gehörte er nicht zu denjenigen Kämpfern, die Waffen trugen. Henri Curiel war vielmehr ein Organisator, ein Logistiker, einer derjenigen, die im Hintergrund arbeiteten, um den Widerstand der Völker zum Sieg zu führen.


Henri Curiel war ein führender Kopf vieler Siege, meist antifaschistischer und demokratischer Art. Im Laufe seines Lebens beteiligte er sich direkt und indirekt an den Kämpfen gegen die nationalsozialistische Besetzung Ägyptens, am algerischen Befreiungskrieg, an den Kämpfen gegen die faschistischen Mächte in Spanien und Portugal, am Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika und gegen das Pinochet-Regime in Chile. Henri Curiel wurde 1914 in Ägypten in eine Familie von Großgrundbesitzern geboren. Sein Vater war Bankier, Besitzer von Land und Gesellschafter in vielen Schlüsselindustrien Ägyptens. Als Sohn einer wohlhabenden Familie hatte er Zugang zu einer höheren Bildung und wurde, wie der Rest seiner Familie, stark von der französischen Kultur und Literatur beeinflusst. Wie viele junge Menschen zu dieser Zeit sah Henri Frankreich als die fortschrittlichste Demokratie an.


Später in seiner Jugend entdeckte er jedoch die Schrecken des kapitalistischen Systems, als er mit Rosette Aladjem, die er Jahre später heiraten sollte, die Industrieanlagen und landwirtschaftlichen Flächen seines Vaters besuchte. Diese Entdeckung und der Einfluss seines älteren Bruders Raoul führten dazu, dass er sich für den Marxismus interessierte und sich zum Kommunisten erklärte.


Viele seiner Familienmitglieder waren in dieser Weise politisch aktiv, darunter Kommunisten, antifaschistische Kämpfer und sogar ein KGB-Spion, der britische Dienste infiltrierte. Während des Zweiten Weltkriegs, als die jüdische Bevölkerung Ägypten verließ, weil sich die Truppen des 'Dritten Reichs' näherten, beschloss Henri Curiel, in der Stadt zu bleiben, um den Widerstand gegen die faschistischen Truppen zu organisieren. Doch er hatte Unglück und wurde von ägyptischen Kollaborateuren verhaftet, die sich den deutschen Truppen andienen wollten.


Im Gefängnis war er so überzeugend und charismatisch, dass seine Wachen alle 24 Stunden ausgetauscht wurden, aus Angst, er könnte sie zu militanten Kommunisten machen. Bei dem jungen Curiel sind erste wichtige Züge seiner Persönlichkeit zu erkennen, von denen seine revolutionäre Militanz sein ganzes Leben lang zehren wird. Henri ist nicht gleichgültig gegenüber dem, was um ihn herum geschieht, er will mitmachen, er will mit anpacken, selbst wenn er damit seinen sozialen Status riskiert, selbst wenn er damit seine Freiheit und sein Leben riskiert. Er zeigt Charisma und eine gewisse soziale Fähigkeit, mit den Menschen um ihn herum in Kontakt zu treten. Die Anekdote mit den Gefängniswärtern zeigt uns die Stärke seines Charakters. Die Sympathie, die er bei seinen Kerkermeistern erweckt, wird zu einer Waffe, die er gegen die hegemoniale Macht einsetzt, und die Gefängnisleitung fürchtet ihn schließlich.


Auch nach dem 2. Weltkrieg wurde Curiel mehrmals inhaftiert, ehe Ägypten ihm 1950 die Staatsbürgerschaft entzog und ihn auswies. Er landete in Frankreich, wo für Henri Curiel eine lange Zeit der Selbstreflexion und des Nachdenkens begann. Da er in seinem Heimatland, dem er sich bis zu seinem Tod verbunden fühlte, nicht mehr selber handeln konnte, stellte er sich in den Dienst anderer Befreiungsbewegungen, behielt aber gleichzeitig die Geschehnisse in Ägypten aufmerksam im Auge (und zögerte nicht, den Lauf der Dinge zu beeinflussen, wie 1956, als er die Pläne für den britischen Angriff auf den Suezkanal weitergab).


Aber Henri Curiel hat sich vor allem durch seine wichtige Rolle bei der Koordinierung des bekannten Netzwerks der “Kofferträger” während des algerischen Befreiungskrieges einen Namen gemacht. Er nutzte seine berufliche Ausbildung als Banker, um die Methoden des Geldtransfers aus Frankreich an die FLN (Nationale Befreiungsfront) zu erneuern und weiterzuentwickeln, eine Aufgabe, die für den möglichen Erfolg der Kriegsanstrengungen in Algerien grundlegend war. Er strukturierte das Netz der Kofferträger neu, um es effizienter zu machen, um dem algerischen Volk und seinem bewaffneten Widerstand besser zu helfen. In Frankreich wurde er von der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) ausgegrenzt und vom französischen Geheimdienst überwacht, der ihn für einen KGB-Spion hielt. Im Jahr 1960 wurde er von der französischen Justiz verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wie viele Revolutionäre nutzte er die Zeit im Gefängnis, um seine Fähigkeiten und die seiner mit ihm eingesperrten Kameraden weiterzuentwickeln. Aus dieser Zeit stammt seine Entschlossenheit, seine jahrelangen Kampferfahrungen zu nutzen, um die Koordinierung der klandestinen Aktivitäten, das Fälschen von Ausweispapieren und die administrative Organisation von Geldern zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes zu erleichtern. Alle Fähigkeiten, die er sich angeeignet hatte, konnte er anderen Menschen beibringen und so die kollektiven Fähigkeiten und Kapazitäten der Bewegungen um ihn herum erhöhen.


Mit einigen seiner Freunde, die etwas skeptisch waren, gründete er eine neue Organisation, die sich ganz dem Aufbau des Internationalismus widmete: "Solidarité". Mit "Solidarité" verpflichteten er und seine Genossen sich, ein weltweites Netz von Revolutionären zu bilden, die im Verborgenen arbeiten und die Fähigkeiten der nationalen Befreiungsbewegungen und antifaschistischen Kämpfe, sich gegen Repressionen zu verteidigen, vorantrieben. Diese Aktivitäten wurden schnell von Rechtsradikalen bemerkt, die den ägyptischen Kommunisten, der in Frankreich lebte und die Anti-Apartheid Bewegung in Südafrika unterstützte, kritisch beäugt. Die Drohungen gegen seine Aktivitäten und sein Leben häuften sich, aber sie hinderten ihn nicht daran, die Solidarité-Aktivitäten zu verbreiten und weiterhin einen kompromisslosen Internationalismus aufzubauen.


Den Mut, den Henri Curiel angesichts der ständigen Drohungen, verhaftet oder ermordet zu werden, an den Tag legte, ist einer seiner hervorzuhebenden Charakterzüge. Die Aufopferung, die er zeigte, um den Freiheiten zu dienen, die Tausende von Kilometern von seiner Heimat entfernt erblühten, ist ein starkes Beispiel für Internationalismus. Wie bei vielen einflussreichen Revolutionären endete auch das Leben von Henri Curiel unter tragischen und unklaren Umständen. Wir wissen, dass er ermordet wurde, und es besteht die Möglichkeit, dass dies von höchsten Staatsbeamten angeordnet wurde. Söldner ohne Moral, die ihre Würde an die Mächtigen verkauften, ermordeten den Internationalisten Henri Curiel.


Doch die Frage bleibt: für wen? Mehrere rechtsradikale, rassistische und pro-kolonialistische Gruppen haben die Verantwortung für den Mord übernommen. Einige neuere Geständnisse haben die verschiedenen offiziellen Darstellungen in Frage gestellt. Sicher ist, dass sein Tod der kolonialen Außenpolitik Frankreichs sehr gelegen kam. Ebenso wie das Schweigen, das die Ermittlungen und den Prozess des erzwungenen Vergessens umgab und das unser Interesse am Leben dieser einzigartigen Persönlichkeit nur noch verstärkt hat. Als Revolutionär, der auf französischem Boden ermordet wurde, zeigen das Leben und der Tod von Henri Curiel die Dynamik der politischen Kriegsführung der Hegemonialmächte gegen politisch Andersdenkende.


Einmal mehr sollten wir uns vom Leben derjenigen inspirieren lassen, die diesen Weg vor uns gegangen sind und die Wege des Widerstands und der Organisation eröffnet haben. Wir sollten ihres Lebens gedenken und die Erinnerung an sie wach halten. Anhand von Henri Curiel können wir die Realität des Kampfes und des Widerstands in Europa und die konkreten Möglichkeiten sehen, wie der Internationalismus die Kämpfe für die Dekolonisierung unterstützen kann. Er ist ein Beispiel für jemanden, der aus dem Zentrum der kapitalistischen Moderne heraus kämpfte und dabei sein Leben zu einer Insel der demokratischen Moderne machte.


-Ernesto Toledo

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