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“Eine Kosmovision der Völker” – Bericht einer Kommunardin aus Deutschland

Mein Weg zur Kommune

Ich heiße Celia und bin Teil der Internationalistischen Jungen Frauen Kommune. Ich lernte die kurdische Freiheitsbewegung im Herbst 2022 kennen: der Mord an Jina Amini löste im Iran und weltweit große Proteste aus, die auch in meine Heimatstadt nach Deutschland reichten. Auf einer dieser Kundgebungen begegnete ich damals kurdischen und internationalistische junge Frauen, die mich zu ihren Treffen einluden. Zu dieser Zeit wusste ich noch wenig von der kurdischen Freiheitsbewegung oder der tiefen Bedeutung des Spruches “Jin Jiyan Azadi”. Es war nicht nur Neugier, sondern auch ein spontanes Vertrauen das in mir geweckt wurde. 

Ich bin die Tochter eines peruanischen Mannes und einer deutschen Frau. Meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, wuchs auf mit der Sprache Quechua, bis sie als junge Frau in die Großstadt Lima ziehen musste. Meine Wurzeln reichen also zurück in die Zeit, bevor die Europäer den amerikanischen Kontinent deklarierten, meine Verwandten bewohnten dieses Land schon bevor die Klauen der kapitalistischen Moderne diese Erde wie einen Schwamm auswrangen. Heutzutage sprechen meine Großeltern kein Quechua mehr, sie leben in Lima, einer 10-Millionen-Menschen Metropole, die sich in reichere und ärmere Viertel teilt.


Ich bin geboren und aufgewachsen in Deutschland. Als Kleinkind konnte ich Spanisch noch verstehen. Wir reisten alle zwei Jahre zu meinen Großeltern, auch meine Mutter sprach fließend Spanisch. Doch spätestens mit der Einschulung war ich nur noch von Deutsch umgeben und bin dementsprechend sozialisiert. Trotzdem habe ich nie vergessen, wo ich herkomme, auch wenn ich es damals nicht benennen konnte, hatte ich schon ein Bewusstsein für meine Diaspora-Identität: Ich liebte es über Peru zu sprechen, Leuten (Kindern und Erwachsenen) zu erklären, wo Peru liegt, was man dort isst und dass ich von den Inkas abstamme. Dafür erntete ich den Spitznamen Pocahontas. Immer wieder erlebte ich Rückschläge bei meiner Suche nach meiner Identität, doch meine Wurzeln blieben mir immer wichtig, ich wusste sie waren ein Teil von mir. Diese Wurzeln haben mir schon immer einen Halt gegeben, besonders in der deutschen Gesellschaft, einer sehr fragilen Gesellschaft, deren Wurzeln im Laufe der Geschichte gestutzt wurden. Sie verwurzeln mich hier in dem Land, auf dem ich aufgewachsen bin. Das ist etwas, was ich erst durch die Analyse der BRD und Europas erkannte und ohne die Analyse Rêber Apos nicht möglich gewesen wäre. Jetzt versuche ich zu meinen indigenen Wurzeln zurückzufinden.


Die Schwierigkeit als deutsche Halbperuanerin aufzuwachsen, liegt darin, die Geschichte, Kultur und Gesellschaft zweier Völker zu verstehen und darin meine Wahrheit zu finden. Zwei Völker, deren Eigenschaften auch eine Dialektik aufzeigen: kolonialisiert werden und kolonisieren, von der kapitalistischen Moderne einverleibt werden und gegen sie kämpfen, ein fragiler Staatsnationalismus und eine vom Widerstand gefestigte Liebe zum eigenen Land. Meine Wahrheit wird irgendwo inmitten alldem liegen. 


Wenn ich auf meine Familie schaue, sehe ich auch eine Menge Widersprüche, der der europäische Kolonialismus zeigte. Einerseits spüren sie eine starke Verbundenheit zu dem Boden, auf dem sie aufgewachsen sind, andererseits haben die Werte der kapitalistischen Moderne in Form von Geld, Eigentum und Verteilung meine Familie vergiftet. Erbstreitigkeiten führen zu Hass zwischen Geschwistern und Cousins, mit den Nachbarn muss sich immer verglichen werden, die anderen haben immer mehr und immer das Bessere. Ich sehe in Echtzeit die Konsequenzen des Kolonialismus in den Köpfen meiner Verwandten und das Unglück, das es ihnen bringt.


Bei der Weltjugendkonferenz in Paris erzählten Jugendliche aus Abya Yala von der Militarisierung der Jugend und ich musste sofort an meinen Vater denken, der seine Jugend in der Militärakademie verbrachte. Blicke ich mich in unserem heutigen Bekanntenkreis in Lima um, der hauptsächlich aus alten Schulkameraden meines Vaters besteht, bin ich von Herzen froh, dass mein Vater, anstatt in die Fänge einer militärischen oder polizeilichen Karriere zu geraten, lieber in die BRD zu studieren gehen wollte. Die Militarisierung prägt ganze Generationen und verschärft die patriarchale Mentalität der Hierarchie, das Macht, Besitz und Vergleich in den Vordergrund stellt. Mit jedem Schritt, der nach vorne gegangen wird, tritt man auf den Nebenmann.


Diese Mentalität brachte der imperialistische Staat und die Kirche und ersetzte die Achtung der Natur mit dem christlichen Dogmatismus. Es ist klar zu sehen, dass dieser Bruch in der Gesellschaft, die Menschen unglücklich macht, gegen die wahre Natur ihres Zusammenlebens geht. Auch meine Familie spürt diesen Widerspruch, doch sie erkennen nicht, was sie tun können, die Staatsmentalität ist in ihren Köpfen verankert und wird ausgeführt wie eine alltägliche Routine.


Eine Kosmovision der Völker

Der Kampf des kurdischen Volkes und der Kampf der Völker in Abya Yala ähneln sich nicht nur darin, dass das herrschende System ähnliche Methoden der Kolonisierung angewendet hat, sondern ganz besonders auch in der Kosmovision der Völker. Das Verständnis von Natur und Mensch, die Art in Gemeinschaft zu leben und die Erkenntnis, dass alles in der Welt miteinander verbunden ist, prägt diese Kosmovisionen. Das Faszinierende dabei ist doch auch, dass zwei Völker getrennt durch die Zeit und den Ozean so ähnliche Weltanschauungen hatten, und ein Blick auf die Weltgeschichte zeigt, dass sie damit nicht alleine waren. Dies kann kein Zufall sein, vielmehr muss es ein Hinweis auf die wahre Natur des Menschen, der Gesellschaft und der Welt sein.


Als ich im Oktober 2022 den internationalistischen jungen Frauen begegnete, war ich gerade an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich mich sehr unerfüllt fühlte. Etwas in mir verlangte mehr als mein öder Schulalltag, ich brauchte etwas das mir Sinn und Hoffnung geben konnte. Schon in den Jahren davor hatte ich das in politischer Organisierung finden können, doch die apoistische Bewegung zeigte mir einen ganz neuen Weg auf. 


Auf der Women Weaving The Future Konferenz entdeckte ich die Schönheit und Stärke der autonomen Organisierung. Reber Apos Paradigma des demokratischen Konföderalismus stellt den Kampf der Frau ins Zentrum des Befreiungskampfes und als ich davon zum ersten Mal hörte, fühlte es sich an als wäre ein entscheidendes Puzzlestück in meinem Leben an die richtige Stelle gelegt worden. Nein, ich hatte das Puzzlestück an die richtige Stelle gelegt, mit all meinen Entscheidungen hatte ich mich hierhin geführt, auf den Weg, der schon von tausenden Freiheitskämpferinnen begangen worden ist. Als junge Frau muss ich mich autonom organisieren, das muss der Schluss von allen Frauen auf der Welt sein, denn nur die autonome Organisierung der Frau und die Jineoloji, die Wissenschaft der Frau, hat das Potenzial so viele Menschen zusammenzubringen und die Gesellschaft somit zu befreien. Es sind die Mütter, die Schwestern, die Töchter, die die unsere Gesellschaft zusammenhalten, die die Trauer und das Glück der Geschichte in sich tragen. Es gibt keinen anderen Weg für die Befreiung der Gesellschaft, das ist die Kraft der Frau.


Reber Apo hat die Stärke der Frau verstanden und zeigt uns mit seinen Schriften und seinem Leben die Kraft und Hoffnung, die in uns wohnt und uns zum Sieg führt. Er hat mir die Hoffnung auf ein neues Leben gegeben, seitdem gibt mir das Paradigma Orientierung. Es hat mir den Willen zum Kämpfen gegeben und wenn ich mich in den Reihen meiner GenossInnen umschaue, dann sehe ich den Willen und die Hoffnung in all ihnen widergespiegelt.


Die Verhaftung Abdullah Öcalans war ein Versuch seine Ideen einzusperren, der internationale Komplott und die anhaltende Isolationshaft ist nicht nur ein Angriff auf seine physische Freiheit, sondern einer auf die gesamte Gesellschaft, den Kampf um Befreiung, Demokratie und Ökologie und auf die Frau selber. Abdullah Öcalan ist nicht für sein Individuum eingesperrt worden, er repräsentiert und führt eine ganze Bewegung. Als er das herrschende System der kapitalistischen Moderne entlarvte und analysierte, den Blick auf unsere Wurzeln, auf den Boden, auf dem wir stehen, richtete und der Welt zeigte wie vergiftet dieser ist, wurde er zur Bedrohung und die Vertreter der Hegemonialmächte machten es sich zur Aufgabe ihn mitsamt seinen Ideen zu beseitigen. Wie wir alle bezeugen können, ist das bis heute nicht gelungen, im Gegenteil wächst und floriert die apoistische Bewegung und wird weiterhin nach ihrem Anführer verlangen, denn solange Abdullah Öcalan, Reber Apo, nicht frei ist, werden wir es auch nicht sein. Die Mächte, die ihn in Gefangenschaft halten, sind dieselben, die uns gefangen halten, es ist alles miteinander verbunden.


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