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Bişeng Brusk – Liebe zum Leben und Klarheit im Kampf

Von Zelal Zagros

Das hier wird eine persönliche Erzählung, darüber wie Bişeng Brusk und ich uns in Rojava kennengelernt haben, wie wir gemeinsam Zeit verbracht haben, wie mich die Genossin Bişeng Brusk in meinem weiteren Lebensverlauf beeinflusst hat und wie sich dann immer wieder, trotz riesiger Entfernungen, unsere Wege miteinander berührt und verbunden haben. 

Ein Weg der in Europa beginnt, über Rojava bis in die freien Berge Kurdistans weiter geht und dort sein großes Finale findet. 


Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, die Revolution in Rojava kennenzulernen, war ich mir von Anfang an darüber im Klaren, dass ich nur eine bestimmte Zeit bleiben würde. Danach wollte ich wieder in meine Strukturen in Europa zurückkehren. Es sollte eine Zeit des Lernens, Verstehens und Entdeckens sein, um mit den Ergebnissen neue Alternativen für unseren Kampf in Europa zu finden. Die Genossin, da auch für unsere Strukturen zuständig, hat immer wieder unseren Ort besucht. Schon beim ersten Mal ist sie mir durch ihre strahlenden und offenen Augen und ihr wunderschönes, zurückhaltendes Lachen aufgefallen. Obwohl wir alle zu der Zeit so gut wie gar nicht kurdisch sprechen konnten, hat uns das nicht an einem lebhaften und intensiven Austausch miteinander gehindert. Vor allem Bişeng Brusk hat viele von uns und auch mich selbst sehr in unserem Leben und Kampf geprägt, für viele von uns ist sie die Genossin, durch die wir das erste Mal mit der Kraft des Freiheitskampfes der PKK und PAJK in Berührung gekommen sind.


Gespräche, mit dem Ziel Verständnis zu schaffen und das Gegenüber voranzubringen, neue Gedanken und Gefühle aufzubauen und das aber nicht für sich selbst und aus persönlichen Eigeninteressen zu machen, sind in dieser Welt leider eine Seltenheit geworden. Ohne große Worte, sondern allein durch eine ästhetische und strahlende Haltung war sie es, die uns dazu gebracht hat uns zu hinterfragen. Auf eine ganz natürliche Art und Weise haben sich somit viele innere Widersprüche aufgelöst. Ich weiß noch genau, wie viel Zeit sie sich genommen hat trotz der fehlenden Sprache über die Bedeutung von Internationalismus und einem weltweit verbundenen Kampf zu diskutieren. Doch dabei ist es niemals die Theorie gewesen, sondern ihre Praxis die uns wirklich überzeugt hat. Eine Liebe zu den Details im Leben, hat mir dabei immer wieder vor Augen geführt, wie sehr wir, als Genossinnen aus Europa, doch so wenig verstanden haben von dem richtigen Leben und vielmehr mit unglaublichen Theorien und Diskussionen fernab der Realität des Kampfes verrückte Traumwelten erschufen.

Die Genossin Bişeng hat in meiner Anfangszeit in Rojava in meinem Verständnis für einen internationalistischen und weltweit vernetzten Kampf viele neue Perspektiven eröffnet. Zum Beispiel hat sie einmal während einer langen Autofahrt im regnerischen Winter von Rojava ihren Kopf nach hinten gedreht und mich gefragt ob ich denke, dass ich internationalistisch kämpfen kann, wenn ich doch im Grunde mit meinen Gedanken und in meinem Handeln immer gebietsgebunden geblieben bin. Ob dementsprechend nicht auch der eigene Kampf immer in nationalistischen Grenzen und somit unter einer Haube des staatlichen Denkens begrenzt bleiben würde. Ob ich somit mit ziemlich oberflächlichen Worten die Tiefe und Wichtigkeit des internationalistischen Kampfes für die gesamte Welt und Menschheit überhaupt verstehen könnte. Die Genossin Bişeng war in ihren Worten sehr klar und deutlich, sie hat unsere Fehler angesprochen und uns kritisiert, doch niemals haben wir uns dadurch angegriffen gefühlt. Das liegt daran, dass sie mit ideologischer Tiefe niemals die Person an sich, sondern das System dahinter angegriffen hat. In diesem Moment habe ich mich geschämt, eine sehr revolutionäre Art von Scham, da sie mich dazu gebracht hat im Nachhinein alte Muster und Denkweisen zu hinterfragen. 


Es war ein Moment der Entscheidung. Genau dort habe ich, obwohl ich noch einige Zeit gebraucht habe um es wirklich auszusprechen, ganz still und tief in meinem Herzen beschlossen, dass ich auch so eine starke und ausdrucksvolle Revolutionärin werden will, dass ich nicht mehr nur reden, sondern kämpfen will, mit mir selbst, meinen Genossinnen und gegen den Feind. In diesem Moment war mir klar, dass ich die Sehnsucht nach Freiheit nicht immer unterdrücken kann, dass ich mich nicht nur mit einem Teil zufrieden geben will und das ich den vielen internationalistischen Gefallenen mit einer radikalen Entscheidung mehr Kraft geben will, selbst zu einer internationalistischen Kämpferin werden will, die alle Staatsgrenzen in Kopf und Geist überwindet und somit eine wunderschöne neue gesellschaftliche Freiheit um sich herum erschafft.


Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, viel geredet, viel gelacht und viele Orte miteinander gesehen. Ein selbstloser Mensch, der sich mit allem der Revolution hingibt, der sich nicht mehr für sein eigenes Wohl und den persönlichen Komfort interessiert, schafft Achtung und Respekt in seinem Umfeld. Mit anderen Worten spiegelt sich hier aber auch die militante Bescheidenheit und liebevolle und radikalen Hingabe zur Revolution, die der Genossin sehr eigen waren, wieder. Das ist es vor allem, was bei uns diese bedingungslose Liebe und Verbundenheit im Kampf schafft. 


Es sind vor allem ihre Ehrlichkeit und ihr Mut für die Durchsetzung und das Voranbringen der Frauenbefreiungsideologie, die uns als jungen Frauen so viel neue Hoffnung und Kraft geschenkt haben. Ich will es so sagen: In dieser Welt, in der jeder für sich alleine kämpft, Hoffnung und Glaube zu einem verrückten Hirngespinst geworden sind und wir uns immer mehr wie Roboter nach einem kurzen Leben sehnen, welches nur von einer tödlichen Routine gesteuert ist, was uns dann Gedanken und Gefühle und unsere Widersprüche mit der kapitalistischen Moderne vergessen lassen kann, hat die Genossin Bişeng es geschafft uns wieder dem Menschlichsein näher zu bringen. Sie hat uns als jungen Frauen die Liebe gegeben, die uns dazu gebracht hat, zu lieben und sie hat uns den Glauben gegeben, der uns dazu gebracht hat, endlich an uns selbst zu glauben. Genau das ist für uns eine revolutionäre und militante Vorreiterrolle, die es schafft das neue Paradigma in der Praxis umzusetzen.

Es gab Zeiten in denen wir uns lange nicht gesehen haben, doch das hat niemals bedeutet, dass wir uns voneinander entfernt hätten. An dem Tag als ich das erste Mal auf die Berge gehen würde wusste ich, dass ich sie endlich wiedersehen werde, mit unserer Verbundenheit unter den ganzen Genossinnen ist es uns tatsächlich möglich so viel mehr zu spüren und voraus zu ahnen. Nachdem ich endlich da war, war sie tatsächlich eine der ersten Freundinnen die ich gesehen habe. Sie hat mir eigenhändig Guerillakleidung zusammen gesucht und gegeben und dieser Moment war sehr bedeutungsvoll, weil sie die Genossin ist, die mich seit meinen frühesten Anfängen über all die Arbeiten bis hin zum Ankommen in den freien Bergen Kurdistans immer begleitet hat.


Was bedeutet es zu lieben? Und wo werden wir die Wahrheit finden? Für uns liegt diese Suche darin, die Wege, die unsere gefallenen Freundinnen beschritten haben, weiter zugehen. Was ist die Wahrheit unserer Şehîds? Für viele Menschen ist gerade das ein großer Widerspruch und sehr schwer zu verstehen, doch genau das ist einer der Kernpunkte, welcher uns so tiefgreifend in diesem Kampf miteinander verbindet und einer unserer wichtigsten Werte, die wir mit Leib und Seele beschützen. Es ist unsere reine und auf einer gemeinsamen Ideologie basierende Genossenschaftlichkeit, die alle Zeit und Leben und Tod überdauert. Unsere Şehîds, die in ihrem Glauben an ein besseres Leben und in der Liebe zur Freiheit sogar den Tod überwinden, werden zu einem Teil der Ewigkeit, sie werden zum Inbegriff der Bewegung. Sie werden zu dem Licht, welches uns aus der Dunkelheit herausführt.


Auch wenn die Genossin Bişeng Brusk gefallen ist, lebt sie in uns allen weiter. Sie ist dadurch unsterblich, weil sie immer noch in uns atmet, mit unserer richtigen und verantwortungsbewussten Haltung immer weiter leben wird. Das ist der Grund dafür, weshalb es uns so wichtig ist immer zu Erinnern und niemals zu vergessen, denn Vergessen wäre der Verrat gegenüber unserer Geschichte und den Schicksalen und Kämpfen unserer Genossinnen. Egal ob wir sie persönlich gekannt haben oder nicht, allein ihre Worte und ihre Haltung haben einen riesigen Einfluss auf unsere eigene Einstellung.


Egal in welchem Gebiet wir uns aufhalten, ob Rojava oder Rojhîlat, ob Bakûr oder Başur, ja sogar in Europa, überall sehen wir die Ergebnisse der großen Anstrengungen, die Bişeng Brusk und andere Genossinnen in mehr als zehn Jahren revolutionärer Militanz in den Jugendarbeiten aufgebaut haben. Im Grunde ist es damit vor allem unsere Verantwortung, die Liebe und den Glauben an die Revolution und die Vorreiterinnenrolle der jungen Frauen, die sie so sehr gespürt hat und wofür sie alles gegeben hat, weiterzugeben und bewusst zu leben. Es ist damit auch unsere Aufgabe und Verantwortung, in uns selbst und unserer Umgebung eine starke und revolutionäre Militanz aufzubauen, die sich entgegen der faschistischen und patriarchalen kapitalistischen Moderne aktiv selbst schützen kann, und unserem Versprechen loyal und treu zu bleiben. Es ist zudem unsere Pflicht, den Umfang und die Kraft der Revolution tiefer zu verstehen und mit Respekt und Hoffnung niemals die Geschichte von der Gegenwart zu trennen und die tiefe Verbundenheit, egal wo wir uns befinden, egal was wir denken oder fühlen niemals abreißen zu lassen. Im eigentlichen Sinne all die großen und revolutionären Gefühle, die uns Kraft geben und die uns voranbringen immer zu bewahren und mit ihnen Klarheit im Kampf zu erreichen.


Deswegen rufen wir im Namen unserer Gefallenen alle jungen Menschen mit einem starken Freiheitsdrang dazu auf, entgegen all der feindlichen Angriffe eine starke Position zu beziehen und eine aktive Rolle im Kampf für die Freiheit und das Leben einzunehmen, denn nur so werden wir in der Lage sein dieser großen Verantwortung, die ab jetzt auf unseren Schultern liegt, gerecht zu werden. Nur so werden wir für all die gefallenen Genossinnen Rache nehmen können.


„Um kämpfen zu können brauchst du Klarheit und Klarheit erreichst du im Kampf.“ 

Ş. Bişeng Brusk, 13.04.24


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